Die Gefahren eines „Europäischen Elternschaftszertifikates“

Ein Aufruf zur Teilnahme an der öffentlichen Konsultation zu einer EU-Gesetzgebungsinitiative, die den Weg zur Praxis der Leihmutterschaft frei macht

Brüssel, 31. Januar 2023

„Es gibt keinen Anspruch auf ein Kind bzw. auf Elternschaft; ein Kind ist vielmehr ein Geschenk und Elternschaft bedeutet Verantwortung“, so die Reaktion von FAFCE-Präsident Vincenzo Bassi in einem Offenen Brief auf die Ankündigung einer europäischen Gesetzgebungsinitiative über „die grenzüberschreitende Anerkennung der Eltenschaft“. Bereits im Jahr 2020 erklärte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen: „Wenn Sie in einem Land Eltern sind, sind Sie es in jedem anderen Land auch“. Im vergangenen Dezember veröffentlichte die Europäische Kommission den Vorschlag zu einem EU-weiten „Elternschaftszertifikats“. EU-Bürgerinnen und -Bürger sind eingeladen, ihre Meinung in einer öffentlichen Konsultation bis zum 13. Februar zu äußern.

Diese Initiative konzentriert sich auf die automatische Anerkennung von „Elternschaft“, ein Wort, das den rechtlichen und biologischen Begriff „Filiation“ (lat. legitime Abstammung eines Kindes von seinen Eltern) ersetzt, Kind und seine „Eltern“. Nach Angaben der Europäischen Kommission wird es durch diese Initiative nicht zu einer Änderung des Eherechts in den EU-Mitgliedstaaten kommen, da das Familienrecht ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. „Doch“, so der FAFCE-Präsident, „wird es durch die Einführung einer neuen rechtlichen Kategorie, nämlich die „der Elternschaft“, was über die derzeitige Terminologie der „Filiation“ hinausgeht, zu Auswirkungen auf das nationale Eherecht kommen.“ In der Tat würde die obige Initiative der Europäischen Kommission, falls sie Zustimmung findet, automatisch die Rechtswirksamkeit der Filiation auf alle Arten von „Elternschaft“, einschließlich die der Leihmutterschaft, auf alle EU-Mitgliedstaaten einheitlich ausdehnen. „Abgesehen von der erklärten Absicht, nicht in das Familienrecht der Mitgliedstaaten einzugreifen, stünde der Vorschlag der Kommission in diesem Fall im Widerspruch zu Art. 9 der EU-Grundrechtecharta, in dem es heißt: „Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Ausübung dieser Rechte gewährleistet“, folgerte der FAFCE-Präsident.

FAFCE begrüßt zwar das Interesse der Europäischen Kommission, den Schutz von Kindern zu gewährleisten, fordert aber die europäischen Gesetzgeber auf, sowohl das Subsidiaritätsprinzip als auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu respektieren. Eine Auseinandersetzung in dieser Angelegenheit setzt in der Tat voraus, dass die EU die Balance in Sachen ausschließlicher  Zuständigkeit der Mitgliedstaaten beim Familienrecht einerseits und der Zuständigkeit der EU beim Erlass von Maßnahmen im Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug andererseits wahrt (AEUV 81 (3)).

Die FAFCE ist der Ansicht, dass nicht-legislative Maßnahmen auf Einzelfallbasis, die im Rahmen des Mechanismus der justiziellen Zusammenarbeit angewandt werden, ausreichen, um grenzüberschreitende Familiensituationen zu bewältigen.

FAFCE hat auch ernsthafte Bedenken, was die faktische Anerkennung der Leihmutterschaftspraxis angeht. 2021 hatte das Europäische Parlament erklärt, dass „die sexuelle Ausbeutung zu Leihmutterschafts- und Fortpflanzungszwecken […] inakzeptabel und eine Verletzung der Menschenwürde und der Menschenrechte ist“. Tatsächlich verbieten die meisten EU-Länder diese Praxis. Darunter: Österreich, Bulgarien, Kroatien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden. Die Praxis der Leihmutterschaft verletzt nicht nur die Grundrechte und die körperliche Unversehrtheit von Frauen, die als Leihmütter eingesetzt werden, sondern auch von Kindern, die Opfer vom Menschenhandel werden. Eine solche Praxis steht in völligem Widerspruch zum Wohl des Kindes, wird jedoch in der Initiative der Europäischen Kommission zum Grundpfeiler.

Um in Kraft treten zu können, muss der Vorschlag der Kommission vom Rat der EU nach Anhörung im Europäischen Parlament einstimmig angenommen werden. Am 9. Januar 2023 fand im Europäischen Parlament eine öffentliche Anhörung statt, bei der die Kommission ankündigte, dass sie alles tun werde, um die Verabschiedung einer Verordnung zu erreichen, die unmittelbare Auswirkungen in allen Mitgliedstaaten hätte und nicht nur eine „verstärkte Zusammenarbeit“ zwischen den beitrittswilligen Mitgliedstaaten zur Folge hätte. Doch vorerst haben Polen und Ungarn angekündigt, gegen eine solche Initiative im Rat der EU Veto einlegen zu wollen, wo die Initiative voraussichtlich blockiert werden wird.

Die Europäische Kommission hat außerdem eine öffentliche Konsultation eröffnet, bei der alle Interessengruppen, einschließlich der Organisationen der Zivilgesellschaft und der EU-Bürger, bis zum 13. Februar 2023 direkt ihre Meinung äußern können. Die FAFCE fordert alle auf, sich daran zu beteiligen.

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